Nachdem der Helikopter von dem grasigen Landeplatz abgehoben war und sich in Richtung Talausgang gewendet hatte, wurde mir etwas bang. Wir waren in einem hochalpinen Talkessel gelandet, um uns herum lagen unsere drei Taschen mit der Ausrüstung und dem Essen für fünf oder sechs Tage, denn wir waren ohne festen Plan angereist. Genauer gesagt waren wir recht spontan und überstürzt angereist und schauten nun ein bisschen überwältigt dem kleiner werdenden Helikopter hinterher. Dann war Stille, nur unterbrochen von dem beständigen Rauschen der zwei Flüsse, die das Schmelzwasser der Schneefelder ins Tal führten, und einem leisen Windhauch. Außer uns war niemand hier – doch eigentlich musste irgendwo in dem riesigen grauen Felsmeer ein anderes Paar Kletterer sein, mit denen wir vor einigen Wochen lose ausgemacht hatten, dass wir hier in Twin Stream über Weihnachten gemeinsam klettern könnten. Der Helikopter-Pilot hatte uns am Felsbiwak abgesetzt, aber das, was um uns herum zu sehen war, waren nur einzelne große Felsen, die keinerlei Schutz boten. Kein Biwak in Sicht. Während Peter die mühselige Aufgabe auf sich nahm, mit Hilfe des veralteten Führers die Felswände zu identifizieren, guckte ich mich um. Es war gespenstisch leer um uns herum: Niedrige Pflanzen, Steine, manche größer, der Fluss, aber sonst kaum Leben. Und gewaltig hohe Wände an drei Seiten, die noch voller Schnee waren. Gut, dass wir uns warm angezogen hatten. Wo waren die anderen? Unglücklicherweise hatten wir Graham und Shonas Nachricht, dass sie am Morgen per Helikopter ins Tal fliegen würden, aufgrund des schlechten Empfangs einen ganzen Tag zu spät bekommen. Wir waren früh noch in Queenstown, haben dann schnell alles gepackt, eingekauft für eine Woche, die Fluggesellschaft angerufen und dann die 250 km Landstraße in Angriff genommen. Am Schluss hatten wir grad noch ein paar Minuten Luft, ehe der Helikopter abhob und uns fünf Minuten später wieder 1000 hm höher mitsamt unserer 50 kg Gepäck hinausließ. Jetzt waren wir also hier. Nur – wo waren die anderen? Nach einer Stunde vergeblichen Routensuchens (schlechte Bilder im Führer und ohne gebohrte Haken sind Routen eh schlecht zu sehen) hatten wir wenigstens die anderen beiden hoch oben im Fels entdeckt. Nach ein paar weiteren Minuten war auch das Rätsel gelöst, wo das Biwak war: Inmitten eines riesigen Blockfeldes gab es mehrere schlechte und ein ganz ordentliches Felsbiwak: ein 50 x 100 cm großer Eingang, der mit Drahtgeflecht verschlossen werden konnte, führte unter einen riesigen Felsen und gab einen etwa 5 qm großen, aber nur 1 m hohen Unterschlupf ab. Da mit Shonas und Grahams Matten bereits die flachen Stellen belegt waren, bauten wir unser Zelt auf und brachen die Routensuche vergeblich ab. Als die anderen beiden zurückkamen, freuten sie sich sehr – immerhin Leben in dieser Einöde.

Am nächsten Tag war das Wetter wunderbar. Das bedeutet in dieser Höhe: Die eisige Kälte und die Nebelwolken wichen so ab ca. 11 Uhr der Sonne, die so lange brauchte, um über die Berge ins Tal scheinen zu können. Bis dahin war wenig möglich. Unseren ersten Klettertag verbrachten wir an der Moonshine Buttress, wo cleane Zweiseillängen mit gebohrten Ständen eingerichtet sind. Route 1 war plattig, aber auf stabilem Fels, Route 2 war schön griffig, aber im Prinzip (meine Sicht der Dinge) loser Schrott. Peter fand die Absicherung dürftig, die Hakenabstände in den Platten zu groß und generell war die Bewertung sportlich. O-Ton: „Klettern war ok. Absichern in dem brüchigen Scheiß blöd.“ Den Heiligabend verbrachten wir dann zu viert in der winzigen Biwakhöhle und leerten mitgebrachte Prosecco- und Bierdosen bei Kerzenschein und eisigen Temperaturen. Es war definitiv eine noch nie dagewesene Art, Heiligabend zu verbringen.

Der nächste Tag, der 1. Weihnachtsfeiertag, brachte unsicheres Wetter, doch früh sah es zunächst gut aus, sodass wir zu viert zu Shindig Gully aufstiegen. Leider brach das Wetter während des 45-minütigen Zustiegs zusammen, sodass wir eine Pause in einer Höhle einlegen mussten. Als wir schließlich noch leidlich trocken an den Routen im steilen Gully ankamen (ein Gully ist eine steile Schuttrinne, in der lauter loses Geröll liegt, sodass man beim Aufstieg recht langsam, beim Abstieg manchmal aber recht schnell ist), begann es leider zu schütten, sodass wir nur ein Materialdepot anlegten und zum Lager zurückkehrten. Somit waren wir alle klatschnass und kauerten wieder mal in dem niedrigen Felsbiwak. Unser warmes, gemütliches Zelt war tagsüber nämlich abgebaut und lagerte in der dicht verschlossenen Höhle. Der Grund war: In dem Tal leben die gefährdeten Kea – Bergpapageien, die sich anscheinend leicht langweilen und hochinteressiert an allem Neuen sind. Daher ist nichts vor ihnen sicher. Shonas Camplampe musste als erstes gleich am ersten Tag dran glauben – ein Kea ist in direkter Nähe durchgeflogen und hat sie sich geschnappt. Als wir unser Zelt am ersten Tag aufgebaut hatten, saßen bereits drei Kea auf den Felsen um uns herum und haben uns beäugt. Nun, am dritten Tag unserer Anwesenheit, waren es bereits neun überwiegend junge Vögel, die uns früh und abends belagerten, jederzeit bereit, etwas Herumliegendes zu erbeuten oder zum Sprung auf unser Zelt anzusetzen. Die Situation in der Höhle war zwar lustig (dank einiger Spirituosen in Tee), wurde aber mit länger dauerndem Regen immer vertrackter, denn das Wasser lief zuerst an wenigen, schließlich aber an vielen Stellen an dem Fels entlang in die Höhle hinein und machte immer mehr der wenigen Quadratmeter zur Tropfsteinhöhle. Immer weitere Ecken mussten evakuiert werden. In einer Regenpause bauten wir schnell unser Zelt wieder auf – mittlerweile wohnten wir auf einer riesigen Felsplatte direkt vor der Höhle. Material zum Befestigen der Ecken im felsigen Gelände hatten wir ja dabei!

Bis auf ein paar Hosen und Regenjacken blieb also alles trocken und wir waren am nächsten Tag wieder einsatzbereit. Auch die Kea-Bande war schon vor Ort: Mittlerweile hatten sie sämtliche Kumpels aktiviert und saßen 13 Vogel stark in engem Kreis um unser Frühstück herum. Das Zelt immer fest im Blick, bis schließlich tatsächlich einer den Sprung wagte – aber zum Glück, ohne Schaden zu verursachen, abrutschte. Wir packten wieder alles zusammen und schafften es ins enge Loch. Den Weg zum Fels kannten wir ja jetzt schon, fanden ihn aber auch wieder mühselig. Vor allem unsere Route war recht weit oben in der steilen Rinne. Während Peter die erste Seillänge in Angriff nahm, kamen plötzlich von oben Steine durch die Rinne geschossen. Das klang beängstigend, war auch gefährlich, aber zum Glück nicht für uns an unserer leicht erhobenen Stelle. Anscheinend hatte der Regen das Schneefeld im oberen Teil der Rinne aufgeweicht und das über den Winter auf den Schnee gefallene Geröll wurde jetzt freigegeben. Während wir bei strahlendem Sonnenschein oben in der Wand hingen, knallten unten die teilweise gewaltig großen Steine durch die Rinne. Das Klettern war erneut eher fragwürdig, sowohl was die Felsqualität als auch die Absicherung anging – einzig beeindruckend war das Setting: Der Fluss war nur ein winziges Rinnsal in endloser Entfernung im Tal. Insgesamt haben wir also in drei Tagen sieben Seillängen geschafft – eine magere Ausbeute für so eine gewaltige Aktion. Beim Abstieg zurück zum Zelt gab es dann noch eine größere Steinlawine, sodass wir einen flotten Spurt hinlegen mussten, um aus der Flugbahn zu kommen. Gruselig! Und definitiv genug für mich: Um sämtlichen Gefahren möglichst geschwind zu entkommen, haben wir dann aufgrund der etwas wackeligen Wettervorhersage unser Geraffel gepackt und uns noch am Abend auf den Abstieg (1000 hm im Flussbett und schmalste Pfade) gemacht. Haja – ein Abenteuer definitiv, für mich etwas zu dramatisch, für Peter „ok“. Ich für mich habe herausgefunden, dass ich anscheinend doch kein so ein richtiger Bergsteiger bin. Toll war die Gegend schon, nur sollte man vermutlich noch ein oder zwei Monate warten, bis es wärmer wird – schließlich haben wir einen sehr späten und kalten Sommer hier. Und genial war, dass wir zu viert waren – alleine wäre ich da nicht in die Wand gegangen. Ein Weihnachten, das ich nicht vergessen werde!

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