Bei der Planung unserer Reise war klar, dass wir dieses Mal eher in die Wildnis wollten. Und dass wir zu alt sind für Hostels. Meine Erinnerung an jugendliche Abenteurer, die versuchen, im einzigen Toaster Monster-Süßkartoffeln zum Frühstück (oder Mittagessen – wer weiß?) zuzubereiten, ist noch frisch. Auch meine Erinnerung an nächtliche Ruhestörung durch ins Koma fallende Säufer, die mir den Schlaf vermiesten. Also: Camping. Im Web findet man Erstaunliches: Camping sei sagenhaft günstig, die Japaner hätten eine seit Urzeiten etablierte Outdoor-Kultur, es gäbe für Wanderer und Radfahrer sogar die Möglichkeit, in jedem ruhigen Fleck selbst in Parks zu zelten, wenn man spät aufbaut und früh wieder geht. Sogar eine Karte für kostenlose Zeltplätze gibt es im Netz.
Wir haben also ein paar Koordinaten markiert (Internet haben wir meist nur an öffentlichen Plätzen) und sind mit dem Auto losgefahren. Und siehe da: Mitten in der Nacht (also um 18 Uhr) sehen wir am Straßenrand einzelne Zelte in Honbetsu, einem kleinen Waldgebiet am Rande von Obihiro. Die Ausstattung spartanisch – Toiletten, kaltes Wasser, Picknicktische. Und ca. 10 Personen bereits da oder im Einrichten begriffen. Kosten: Nichts. Mülleimer: Keine. Dafür war das Toilettenpapier im Halter hotel-mäßig zum Dreieck gefaltet und da ich die einzige Camperin war, gehörte das Damenbad mir.
Nächster Versuch: Ebenfalls kostenloser Platz direkt am Meer – Hamanaka. Es gäbe eine Rezeption, aber dadurch dass Hokkaido gefühlt eine 50er-Zone ist und so Strecken von 150 km einer Halbtagesreise entsprechen, ist es bereits zu spät. Ausstattung: Spülbecken, Toilette, Waschbecken außen, Müllcontainer und – das Highlight – eine Indoor-Räucherkammer. Leider gibt es davon kein Bild, aber es handelt sich bei den japanischen Campern um leidenschaftliche Griller. Da Hamanaka auf einer ins Meer liegenden Klippe liegt, sind hier die gemauerten Grillstellen (2, an denen man sich einander gegenübersitzen kann und alle gemeinsam anstatt um einen Tisch um die zwei langen Grillstellen herumkauern) in einem Gebäude, in dem es dementsprechend riecht. Die Leute waren die ersten, die mit mir gesprochen haben und mir sofort Ofenkartoffel und Kürbis in Alufolie in die Hand gedrückt haben. Einer hat mir gleich sämtliche großen Städte in Deutschland aufgezählt und dazu den einzigen jüngeren Camper als Übersetzer herbeigerufen. So war ich gleich Teil der Gruppe und habe als Dank Kekse verteilt. Sehr zum Unwillen des eigentlichen Besitzers der Kekse (seitdem haben wir überwiegend Kekse im Gepäck – für alle Fälle und zur Vermeidung interner Konflikte). Erneut gab es – bei genauerer Betrachtung – keinen allgemeinen Müll. Auf Nachfrage und mit Händen und Füßen und erneut unter Einbeziehung des jungen Mannes, dessen Grill derweil kalt wurde, wurde mir langsam deutlich, dass es ein Müllkonzept gibt, bei dem anscheinend jeder seinen Müll mit nach Hause nimmt, außer den wenigen Trümmern, die recycelt werden, und da Touristen unmöglich mit all dem Müll das Land verlassen können, diese einen Tourist-Garbage-Bag kaufen sollen. An dem Abend hat sich einer der netten Mitcamper erbarmt und unseren Müll übernommen. Leider waren unsere Kekse da schon weg und wir hatten nichts mehr zum Bedanken.
Beim nächsten Zeltplatz hatten wir langsam Dusch-Sehnsucht. Folglich waren die Erwartungen hoch, als wir in Rausu – erneut in stockfinsterer Nacht – in den Zeltplatz einbogen. Leider nein – kostenlose oder günstige Zeltplätze liegen meist neben Onsen, öffentlichen Bädern, die oft auch kostenlos sein können. Leider haben diese auch Öffnungszeiten und die waren bereits rum. Also keine Dusche mehr. Dafür klärte sich die Müllfrage: An den Plätzen, an denen man Beutel kaufen kann, kann man sie dann auch abgeben. Leider hatten wir gerade keinen Müll mehr, nachdem wir ihn vorsorglich in einer Raststätte untergebracht hatten. Auch hier waren kaum Frauen vor Ort, sodass ich das hintere Toilettenhaus für mich entdeckte und der Waschlappen zur Anwendung kam.
Umso größer war unsere Erleichterung (also meine hauptsächlich), als wir schließlich (ich brauche es eigentlich nicht zu erwähnen, aber es war wieder stockfinster und hat geregnet) in Sounkyo in einen Zeltplatz rollten. Versuch eins war gescheitert, denn der kostenlose Zeltplatz südlich von Sounkyo war im Dunkeln, durch eine steile Schotterstraße, die mitten in den Wald führte, nicht vertrauenserweckend, und ich wollte eine Dusche. Somit kam der nördliche Zeltplatz ins Spiel, und der war toll. 500 Yen für zwei Personen pro Nacht – unschlagbare 4,50 Euro, dazu heiße Duschen für 200 Yen, Waschmaschine und nagelneue Toiletten. Und kostenlose Müllabgabe.
Insgesamt also ist Campen tatsächlich eine spannende Erfahrung. Man muss mit einfacher Infrastruktur rechnen, kann durchaus auch spartanisch kostenlos übernachten, sollte sich ein Müllentsorgungskonzept überlegen (und es ist unglaublich, was sich bei zwei Personen an einem Tag ansammelt, wenn jedes Plätzchen einzeln verpackt ist) und man muss damit rechnen, dass der Tag für die anderen Camper um 4.30 Uhr beginnen kann. Wenn der Camper auch noch Bergsteiger ist, marschiert der dann auch los und hat sein Bärenglöckchen am Rucksack.Haja – und ob die Japaner jetzt mit Absicht so viel Rauch beim Grillen produzieren oder ob das mangelnde Erfahrung ist, das ist mir noch nicht klar.
Zeltplatz Nummer vier